Friederike Boll: „Es geht um einen Kulturwandel“
Die Rechtsanwältin Friederike Boll spricht mit ZEIT Campus über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: „Es geht bei diesem ganzen Thema nicht um Männer gegen Frauen und umgekehrt. Es geht darum, dass alle gemeinsam die sexistischen Strukturen überwinden, aus denen sexualisierte Gewalt wächst.“
Die Frankfurter Anwältin für Arbeits- und Antidiskriminierungsrecht erklärt: „Bei sexualisierter Gewalt geht es immer um Macht, und je niedriger man in der Unternehmenshierarchie steht, desto gefährdeter ist man.“ Wenn allerdings Aussage gegen Aussage stehe, müsse das nicht bedeuten, dass eine Praktikantin ihrem Chef gegenüber grundsätzlich unterlegen ist: „Nach Paragraf 12 AGG besteht eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, gegen Diskriminierungsgefahren vorzugehen. Präventiv und im Einzelfall. Das heißt: Er muss die Gesundheit seiner Angestellten am Arbeitsplatz garantieren. Dazu zählt auch die psychische Gesundheit und damit die Abwesenheit von Belästigung. Deswegen heißt es nicht: Im Zweifel für den Täter, sondern im Zweifel für den Gesundheitsschutz und für den Schutz der anderen Arbeitnehmer:innen.“
Friederike Boll rät zur aktiven Auseinandersetzung mit den Vorfällen: „Klare Kante zeigen hilft in vielen Situationen.“ Ein Verschweigen oder Verdrängen nütze auf lange Sicht weder den Einzelnen noch dem Unternehmen: „Die meisten Frauen halten aus, halten aus, halten aus, leiden und werden dann irgendwann krank. In solchen Fällen haben sie selbst den größten Schaden, und der Arbeitgeber kann es aussitzen. Dabei wissen wir aus Studien: Nichts tun und aushalten ist die Garantie dafür, dass es schlimmer wird und weitergeht.“
Außerdem in dieser Ausgabe: Elf Frauen schildern ihre Erlebnisse mit sexualisierter Gewalt am Arbeitsplatz. Das aktuelle Magazin ZEIT CAMPUS (Ausgabe 3/2022 mit dem Titel „Wie wichtig ist dir dein Job?“ erscheint am 5. April im Handel und ist auch hier erhältlich.