EU-Parlamentspräsident Martin Schulz: „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“
Der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz (SPD) spricht in der aktuellen Ausgabe von ZEIT GESCHICHTE über die derzeitige Lage der Europäischen Union. Auf die Frage, ob eine Demokratie jenseits nationalstaatlicher Bindung überhaupt funktionieren könne, sagt Schulz: „Es gibt kein historisches Beispiel, auf das ich mich berufen könnte. Wir bewegen uns auf einer Terra incognita. Und wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“
Es sei „nicht ausgeschlossen“, dass in manchen Mitgliedsstaaten Nationalisten gewinnen und dass dann ein Euro-Staat aus der EU austreten wolle. „Und wenn ein Euro-Staat austritt, dann ist das, was wir gerade an den Finanzmärkten mit dem britischen Pfund erleben, nur ein leichtes Gesäusel“, sagt Schulz.
Die aktuelle Stimmung in der Gesellschaft sei zumindest teilweise mit den späten Jahren der Weimarer Republik vergleichbar. „Bestimmte Phänomene der Zersetzung sind in Ansätzen erkennbar. Wir haben die Polarisierung an den extremen Rändern und gleichzeitig den Auflösungsprozess in der Gesellschaft.“ Selbst im Europaparlament begegneten ihm solche Phänomene, erzählt Schulz: „Man lässt sich ins Parlament wählen, um es von innen zu zerstören. Marine Le Pen hat mir auf die Frage, warum sie sich monatlich 10 000 Euro Steuergeld überweisen lässt, geantwortet, sie sitze hier, um diesen Laden abzuschaffen.“
Die aktuelle Ausgabe von ZEIT GESCHICHTE erscheint mit dem Titelthema „Wir sind das Volk. Die Deutschen und die Demokratie – 1789 bis heute“ und ist ab sofort im Handel erhältlich.