Pressemitteilung der
ZEIT Verlagsgruppe

23. Mai 2023

Elternzeit, Mental Load, Quote: Vermächtnisstudie deckt heimliche Hürden für die Gleichstellung in der Arbeitswelt auf

Was sind die heimlichen, noch unbekannten Hürden für die Gleichstellung in der Arbeitswelt? Die 4. Auflage der Vermächtnisstudie unter der wissenschaftlichen Leitung von Professorin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) unter Mitarbeit von Professorin Lena Hipp und Jan Wetzel, geht dieser Frage auf den Grund: Sie erforscht, wie sich Elternzeit auf die Karriere auswirkt, wie es um die Aufteilung unbezahlter und unsichtbarer Arbeit in Partnerschaften steht und inwiefern geschlechtsspezifische Förderprogramme wie Frauenquoten beeinflussen, wie erfolgreiche Frauen wahrgenommen werden. Und sie zeigt auf, dass auch zutiefst private Entscheidungen wie die Namenswahl bei der Eheschließung einen Einfluss darauf haben, wie berufsorientiert Männer und Frauen wahrgenommen werden. Die Vermächtnisstudie ist ein gemeinsames Projekt der ZEIT, dem WZB und dem infas Institut für angewandte Sozialwissenschaften. Die Ergebnisse der Vermächtnisstudie werden am 23. Mai auf ZEIT ONLINE und am 24. Mai in der ZEIT veröffentlicht. Hauptkooperationspartner der Vermächtnisstudie ist in diesem Jahr die Initiative Chef:innensache.

Jutta Allmendinger: „Wir sehen zum ersten Mal, dass die Bedeutung von Kindern bei den Befragten sinkt. Insbesondere jüngere Frauen raten zukünftigen Generationen dazu, die Wichtigkeit eigener Kinder nicht zu hoch zu setzen. Nach den Erfahrungen in der Pandemie mit einer extremen Mental Load gilt ihnen anscheinend die Erwerbsarbeit als sicherer Deal, um einigermaßen gleichberechtigt leben zu können.“

Mental Load: Frauen übernehmen Großteil der Planung und Organisation von alltäglichen Dingen

Die Ergebnisse der Vermächtnisstudie bestätigen, dass Tätigkeiten wie Kinderbetreuung, Putzen, Waschen und Einkaufen ausschließlich oder überwiegend von Frauen übernommen werden. Darüber hinaus hat die Vermächtnisstudie erstmals auch die unsichtbare kognitive Arbeit erfasst, die als „Mental Load“ bezeichnet wird: Von insgesamt 21 Aufgaben, die Haushalt, Familienorganisation und Freizeitaktivitäten betreffen und die geplant und im Auge behalten werden müssen, liegen nur drei überwiegend oder ausschließlich in der Verantwortung von Männern: Reparaturen, Handwerker und Finanzen. Die befragten Männer gehen dabei häufiger als Frauen davon aus, dass die mentale Arbeit fair verteilt ist, also von beiden im gleichen Umfang übernommen wird. Frauen hingegen sehen die Last klar bei sich. 

Berufliche Nachteile durch Elternzeit

Nach den beruflichen Konsequenzen einer zwölfmonatigen Elternzeit gefragt, erwarten in etwa die Hälfte der Personen im Alter von 23 bis 65 Jahren in Deutschland negative Karriereauswirkungen für Väter. Frauen sehen Männer durch Elternzeit dabei stärker benachteiligt als sich selbst und sie schätzen die negativen Folgen für die Karriere von Frauen niedriger ein, als dies männliche Befragte tun: Nach den beruflichen Konsequenzen einer zwölfmonatigen Elternzeit gefragt, nehmen von den Frauen 52 Prozent negative Folgen einer Elternzeit auf die Karriere für Männer an und 31 Prozent gehen von negativen Auswirkungen auf die Karriere von Frauen aus. Unter den männlichen Befragten gehen 47 Prozent davon aus, dass sich eine Elternzeit negativ auf die Karriere von Männern auswirkt, 34 Prozent sehen negative Konsequenzen für die Karriere von Frauen.

Unbeabsichtigte Folgen von Frauenquote und Mentoring

Geschlechtsspezifische Förderprogramme wie Frauenquoten oder Mentoringprogramme können unbeabsichtigte Folgen haben: So zeigen die Ergebnisse der Vermächtnisstudie, dass der Erfolg von Frauen in Unternehmen, die Wert auf Frauenförderung legen, weniger auf Intelligenz und Fleiß zurückgeführt wird, als in Unternehmen, in denen ausschließlich Leistung und einheitliche Bewertungsstandards gelten. 

Unterschiedliche Bewertungsstandards für Männer und Frauen

Auch zutiefst private und eigentlich für das Erwerbsleben irrelevante Entscheidungen wirken sich darauf aus, wie berufsorientiert Männer und Frauen wahrgenommen werden. So zeigt sich am Beispiel der Namenswahl bei Eheschließung: Die Befragten gehen davon aus, dass Männern und Frauen, die den Nachnamen ihrer Partnerin oder ihres Partners annehmen, ihre Beziehung wichtiger ist als denjenigen, die ihren Nachnamen behalten. Dies spielt im Arbeitskontext eine besondere Rolle: Männer, die den Nachnamen ihrer Partnerin annehmen, werden als weniger berufsorientiert wahrgenommen als Männer, die ihren Nachnamen behalten. Bei Frauen finden sich hingegen keine signifikanten Unterschiede: ihnen wird generell eine geringere Berufsorientierung zugeschrieben als Männern, egal für welchen Umgang mit dem Nachnamen sie sich entscheiden.

Wunsch nach eigenen Kindern geht zurück

Die Norm, dass eigene Kinder wichtig sein sollten, verliert deutlich an Kraft, und zwar über Bildungsstand, Erwerbstätigkeit oder Einkommen der Befragten hinweg. Allerdings gibt es auch Unterschiede: Für Eltern und Verheiratete bleibt die Bedeutung von Kindern unverändert hoch. Dagegen raten Frauen deutlich seltener als Männer anderen Menschen oder künftigen Generationen dazu, Kindern eine besondere Wichtigkeit zu geben. Dies ist ein überraschendes Ergebnis. Ein weiterer neuer Befund betrifft das Alter der Befragten. Anders als in früheren Wellen der Vermächtnisstudie belegen die Daten: Gerade Befragte ab dem Alter von 51 Jahren betonen die Bedeutung von Kindern, auch für zukünftige Generationen. Ein Grund könnte sein, dass in dieser Altersgruppe eigene Kinder oft schon aus dem Haus sind, so dass berufstätige Mütter keine Doppelbelastung mehr tragen müssen. Sie können quasi ein Leben wie die Väter führen und sich hauptsächlich dem Beruf widmen. Jüngere Kohorten haben dagegen ganz andere Erfahrungen gemacht, gerade während der Pandemie. So raten insbesondere Frauen zwischen 23 und 50 dazu, den Kinderwunsch niedrig zu halten. Im Gezerre von Familie und Beruf, erscheint ihnen die Erwerbsarbeit das ruhigere Terrain – eines, das im Vergleich zum Privaten auch zunehmend deutlichere Regeln für die Gleichstellung bietet.

Arbeiten, auch wenn man das Geld nicht braucht

Die Befragten wurden ebenfalls gebeten anzugeben, ob sie auch dann arbeiten würden, wenn sie das Geld aus dem Gehalt nicht bräuchten. Hier sank die Zustimmung der Befragten 2023 im Vergleich zu 2015, wohingegen die Zukunftserwartung unverändert blieb.

2023 zeigte sich allerdings erstmals ein großer Unterschied zwischen Befragten mit hoher und niedriger Bildung. Höher Gebildete stimmten der Aussage, dass sie auch dann arbeiten würden, wenn Sie das Geld nicht bräuchten, häufiger zu als niedriger Gebildete.

Für die Vermächtnisstudie wurden im Januar und Februar 2023 insgesamt 4.211 Personen im Alter von 23 bis 65 Jahren befragt.

Ein schriftliches Grußwort von Bundeskanzler Olaf Scholz anlässlich der Vermächtnisstudie sowie ein Handout zu den Ergebnissen finden Sie im Download-Bereich unserer Mediathek unter: https://www.zeit-verlagsgruppe.de/presse/mediathek.

Johanna Schacht
Pressesprecherin